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Film+07

Hommage

Helga Borsche

Im Auftrag der Geschichte

Wie sind Sie zum Filmschnitt gekommen?

Es stand keine besondere Idee dahinter. Ich bin in Berlin geboren, mein Vater ist im Krieg gefallen, und wir sind evakuiert worden und letztlich in Franken gelandet. Dort bin ich bei sehr politischen Menschen aufgewachsen, habe meine Schule 1957 abgeschlossen und wollte – wie viele jungen Mädchen damals – Stewardess werden. Mein Stiefvater aber hatte als Journalist und Theaterkritiker Verbindungen zur Bavaria und eröffnete mir also, ich hätte ab August eine Lehrstelle im Kopierwerk bei der Bavaria. Ich hatte keine Ahnung, was das war. Also ging ich nach München und nahm die Lehrstelle an, die ich drei Jahre später dann auch abgeschlossen habe. Es war noch die Zeit von Schwarzweiß und den vielen Wochenschauen, gerade am Ende meiner Lehrjahre erst begann die Umstellung auf Farbe. Negativabziehen, Lichtbestimmung, Entwicklung – ich habe dort alles lernen können, auch weil man alle Abteilungen durchlief. Die Ausbildung damals bei der Bavaria war die beste, die man in Deutschland bekommen konnte. Ich hatte auch das Glück, daß mit Theodor Nischwitz einer der besten Trickkameraleute die Trickabteilung auf dem Bavariagelände leitete, und ich durfte ein Jahr lang während der Ausbildung zu ihm – damals wurden viele dieser aufwendigen Vorspänne gemacht, für Das Wirtshaus im Spessart zum Beispiel. Dort in der Trickabteilung lernte ich, wie man Blenden macht, wie man sie schneidet, das Erstellen von Einzelbildern, das Arbeiten an der Oxbury usw. Außerdem durfte ich Herrn Nischwitz begleiten, wenn er sich mit Kurt Hoffmann getroffen hat – das waren alles sehr spannende Dinge für mich in einer turbulenten Zeit damals.

Wie ging es nach der Ausbildung weiter?

1960 habe ich bei der IHK abgeschlossen und mich bei der Bavaria beworben, um in den Schneideraum übernommen zu werden. Dort habe ich als 3. Assistentin angefangen. Es gab ja damals wahnsinnig bekannte Schnittmeister: Hilwa und Claus von Boro zum Beispiel gingen da übers Gelände, Lilian Seng, Margot von Schlieffen, Alfred Srp, und ich dachte: »Da kommst Du nie hin!« Das waren alles gestandene Herrschaften, daß man da keinen Knicks gemacht hat, war noch alles. Herr Taschner, Herr Haller, Herr von Boro – das waren Persönlichkeiten, vor denen ich einen irrsinnigen Respekt hatte. Und wenn man sich dann von der dritten über die zweite und erste Assistenz bis hin zum Schnittmeister hochgekämpft hatte, das war schon was. Ein Jahr lang durchlief ich diese Assistenzen, und als ich eines Tages meinen Mann in Berlin besuchte, traf ich auf dem Kudamm Hans Rosenthal, der mich noch von der Bavaria kannte, und der bot mir den Schnitt für die Fernsehsendung Die Rückblende an. Drei Folgen, glaube ich, habe ich gemacht und ging dann nach München zurück. So kam ich zu meiner ersten Arbeit als Schnittmeisterin.

Nach der Geburt Ihrer Tochter haben Sie einige Jahre »zwischendurch« Industriefilme geschnitten – wie ging es danach weiter?

1967 habe ich bei Herbert Taschner wieder als zweite Assistentin angefangen. Herbert Taschner machte damals diese Hongkong-Krimis für Jürgen Roland. Bei Helmut Förnbachers Film Sommersprossen habe ich dann 1968 auch noch Assistenz gemacht unter Ingrid Bichler. Und Ingrid Bichler sagte anschließend zu mir: »So, und den nächsten Film schneidest Du selber.« Und so begann ich mit der Fernsehserie Chöre und Tänze der Welt wieder als Schnittmeisterin. In dieser ersten Zeit hatte ich sehr viel mit Musik zu tun und hatte immer das Gefühl, ohne Musik hätte ich nicht schneiden können. Das ist ein inneres Gefühl, schwer zu vermitteln. Es ist ein bestimmter Takt, den jemand in sich trägt, wie auch ein Gefühl für die Melodie der Sprache. Die Vertonung von Gruppenbild mit Dame, die ich 1977 gemacht habe, hat mir viel Lob eingebracht. Es gibt so einen bestimmten Sprachrhythmus, ein Verständnis für Sprache und Musik, was sehr dabei hilft, diesen Beruf auszuüben. Für mich ist das jedenfalls so, jeder hat sicher eine andere Beziehung zum Material. Ich bin ja im Grunde ein wirklich auslaufendes Modell: Bei den Filmen mit Xaver Schwarzenberger ist es noch exakt wie früher. Die Schnittmeister heute müssen ja sonst kämpfen, überhaupt bei der Mischung dabei sein zu dürfen. Ich hingegen schneide am Schneidetisch, besuche täglich Mustervorführungen – ich bin die atypischste Editorin, die heute in Deutschland noch arbeitet. Manchmal kommt jemand in meinen Schneideraum, bleibt verdutzt vor dem Tisch stehen und fragt: »Was ist das denn?« Ich habe halt nichts anderes gelernt und zusätzlich das große Glück gehabt, Xaver zu treffen, der 35mm dreht und auf dem Tisch schneiden möchte.

Haben Sie beim Schneiden generell gerne mit Musiken gearbeitet?

Na ja, das mit dem Testen von Musik gab es damals natürlich noch nicht. Wir haben früher erst den Film geschnitten, dann kam ein Komponist dazu, und es wurden Musikschleifen produziert bzw. es wurde eine 300m-Rolle eingelegt, und die Musiker haben live dazu eingespielt. Für die Filme, die ich mit Michael Verhoeven geschnitten habe, wurde das genau so noch gemacht: die Musik in ganzen Rollen aufgenommen.

Ganz allgemein hat sich der Schnittmeister-Beruf mit der Digitalisierung ja sehr gewandelt…

Schnitt ist Schnitt, Montage ist Montage – es ist im Grunde wurscht, ob digital oder analog. Die Maschine hat nichts damit zu tun. Trotzdem ist anzumerken, daß die Schnittmeister um die Rechte, die man mir heute noch gewährt, hart kämpfen müssen. Davon abgesehen aber weiß ich nicht, ob ich auf dem Avid glücklich werden würde. Eine Schlachtszene des Films 1809 Andreas Hofer – Die Freiheit des Adlers habe ich auf dem Avid geschnitten, ausspielen lassen und mit Mustern nachmontiert. Als ich die Szene also auf dem Tisch liege hatte, mußte ich sie aber korrigieren. Durch das Rollen, das immer wieder Anschauen und das Galgensystem der herkömmlichen Schnittweise hat man meiner Meinung nach einfach einen besseren Überblick über das Material. Ich bin in meiner Sehweise so viel schneller. Ich müßte all das auf dem Avid vermutlich einfach üben, aber ich weiß andererseits auch nicht, warum ich zwei Jahre vor meinem 70. noch üben soll… Außerdem: Noch einmal umschulen und dann den Jungen den Job wegnehmen, das will ich nicht!

Sie haben Anfang der 1970er im deutschen Unterhaltungsfilm bei Franz Antel, Rolf Olsen und Kurt Nachmann angefangen. Wie wurde da produziert?

Das war ganz schön furchtbar. Alles wurde im absoluten Schnellverfahren produziert, was u.a. auch deswegen halbwegs funktionierte, weil ja auch große Kameraleute in diesem Unterhaltungskino ihr Geld verdienten. Es wurde alles in Primärton gedreht, ständig hörte man den Regisseur reinrufen, wir mußten also alles synchronisieren und nachvertonen. Von Footsteps über Atmosphären bis hin zum Synchronschnitt haben wir Editoren alles selbstgemacht, das war einfach so üblich. Es war ein sehr lebendiges Hin und Her zwischen den bis zu drei Assistenten und dem Schnittmeister. Erst mit Michael Verhoeven und Hans W. Geißendörfer fing für mich Mitte der 1970er eine ganz andere Phase an.

Inwiefern änderte sich das Arbeiten mit dem Neuen Deutschen Film?

Die Art des Arbeitens war nur sekundär von Belang. Es ging in erster Linie wirklich darum, daß man anderer politischer Meinung war. Das eine war die alt eingesessene Unterhaltungsindustrie, das andere waren junge Leute, und die beschäftigten sich vorwiegend mit politischen und sozialkritischen Themen. Einen Unterschied im Arbeiten hingegen gab es für uns nicht, der Unterschied bestand im Inhaltlichen und in diesem wahnsinnigen Eifer, der dann teilweise auch ein bißchen chaotisch daherkam.

Empfinden Sie es als Vorteil, heute mit einem Regisseur immer wieder zu arbeiten?

Es gehört schon zu den Dingen, die ich genieße, jetzt seit über zehn Jahren mit dem selben Regisseur und Kameramann zu arbeiten. Ich kann schließlich nur versuchen nachzuempfinden, was ein Regisseur möchte, und das klappt bei Xaver natürlich mittlerweile sehr gut. Bei jedem Film gibt man ja immer auch ein bißchen was von sich her, das kostet Kraft. Trotzdem kannst du natürlich nur mit dem Material arbeiten, das dir geliefert wird, du arbeitest immer aus zweiter Hand.

Was glauben Sie, macht einen guten Editor aus?

Das kann man so nicht sagen, glaube ich. Aber wenn ich müßte, würde ich sagen: das Material.

Was ja heißen würde, jeder andere hätte Ihre Filme genauso geschnitten wie Sie.

Ja, natürlich!

Ganz genau so?

Vielleicht mit einer anderen Auffassung, die dann zu anderen Diskussionen mit dem Regisseur geführt hätten… Meine Regiearbeiten hätte ich zum Beispiel auch nie und nimmer alleine geschnitten, weil man einfach froh ist, daß mit dem Editor da noch jemand anderes kommt, der sich seine eigenen Gedanken zum Material macht. Insofern kommt natürlich jeder zu einer persönlichen Auffassung zum Material, die er dann auch verantworten muß. Wenn ich eine gute Geschichte habe, muß ich sie bedienen, unabhängig von meinen Vorlieben oder Abneigungen. Man muß sich zurücknehmen, die Geschichte anschauen und sich überlegen, wie sie am besten zu transportieren wäre. Darum geht's.
Film+ ist eine Veranstaltung des Filmmagazins Schnitt in Zusammenarbeit mit der Filmstiftung NRW und der Stadt Köln
und wird unterstützt vom Kulturwerk der Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst